Traumatische Erlebnisse hinterlassen oft tiefe Spuren in unserer Psyche. Diese emotionalen Wunden können sich auf viele Bereiche unseres Lebens auswirken. Beziehung, Job, Familie... einschließlich unserer Beziehung zum Essen. Essen ist nicht nur eine physische Notwendigkeit, sondern auch ein emotionaler Akt, der stark von unserer mentalen und emotionalen Verfassung beeinflusst wird. Doch welche Auswirkung kann ein Trauma auf unser Essverhalten haben und welche Mechanismen spielen dabei eine Rolle?
Trauma - mehr als die Verletzung der Seele
Ein Trauma entsteht durch Erlebnisse, die uns überwältigen und das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle stark beeinträchtigen. Dies kann durch einmalige Ereignisse wie Unfälle oder Naturkatastrophen geschehen, aber auch durch langanhaltende Erfahrungen wie Missbrauch, Vernachlässigung oder Krieg. Das Trauma verändert die Art und Weise, wie das Gehirn auf Stress und Emotionen reagiert, was sich wiederum auf das Verhalten, einschließlich des Essverhaltens, auswirken kann.
Die Auswirkungen von Traumata auf das Essverhalten
Ein Trauma kann auf verschiedene Arten unser Essverhalten beeinflussen. Diese Veränderungen können subtil sein, aber auch zu ernsthaften Problemen führen, die das physische und psychische Wohlbefinden beeinträchtigen.
1. Emotionales Essen: Ein Trostspender
Ein weit verbreitetes Verhalten bei traumatisierten Menschen ist das sogenannte "emotionale Essen". Die Nahrungsaufnahme dient hierbei dem Zweck, mit negativen Gefühlen wie Angst, Trauer, Wut oder Einsamkeit umzugehen. Vor allem Lebensmittel, die reich an Zucker und Fett sind, können kurzfristig ein Gefühl von Trost oder Sicherheit vermitteln. Das Problem jedoch: Dieses Verhalten endet oft in einem Teufelskreis. Die kurzfristige Erleichterung wird durch Schuldgefühle oder körperliche Beschwerden abgelöst, welche den emotionalen Stress weiter verstärken.
2. Essstörungen: Kontrolle über das Unkontrollierbare
Manchmal ist aber auch die Entwicklung einer Essstörung eine Art, Kontrolle über das Leben zurückzugewinnen, nachdem das Trauma dieses Gefühl genommen hat. Anorexie, Bulimie und Binge-Eating-Störungen sind häufige Reaktionen auf traumatische Erlebnisse. Diese Störungen sind oft eng mit einem "gestörten" Körperbild und einem tiefen Gefühl von Selbstunzufriedenheit verknüpft. Die Kontrolle über das eigene Essverhalten – sei es durch extremes Hungern, übermäßiges Essen oder Erbrechen – gibt dem Betroffenen das Gefühl, wenigstens über einen Aspekt des Lebens selbst bestimmen zu können.
3. Vermeidung von Essen: Schutz durch Ablehnung
In manchen Fällen führen Traumata dazu, dass Betroffene das Essen gänzlich vermeiden. Diese Vermeidung kann völlig verschiedene Gründe haben: Sei es die Entwicklung einer Abneigung gegen bestimmte Lebensmittel, die mit dem Trauma assoziiert werden, oder aber der generelle Verlust des Interesses an Essen. Gipfeln kann diese Vermeidung letztendlich in massiver Fehl- oder Mangelernährung, was die körperliche und emotionale Gesundheit weiter beeinträchtigt und die Spirale abwärts immer steiler werden lässt.
4. Dissoziation und Essen: Abgekoppelt von den eigenen Bedürfnissen
Dissoziation ist ein Mechanismus, der oft bei traumatisierten Menschen auftritt und bei dem Betroffene das Gefühl haben, von ihren eigenen Emotionen, Gedanken oder sogar dem eigenen Körper getrennt zu sein. In Bezug auf Essen kann Dissoziation dazu führen, dass Menschen den Kontakt zu ihren körperlichen Bedürfnissen verlieren. Sie essen vielleicht gar nicht, weil sie kein Hungergefühl wahrnehmen, oder sie essen ohne jegliches Bewusstsein für die Nahrungsaufnahme, was zu übermäßigem Konsum führen kann.
Was steckt dahinter?
Traumata beeinflussen unser Gehirn auf tiefgreifende Weise. Besonders betroffen sind die Bereiche des Gehirns, die für die Regulation von Emotionen und das Erleben von Stress zuständig sind. Der Körper reagiert auf ein Trauma oft mit einer Überaktivierung des Stresssystems, was zu einem chronisch erhöhten Cortisolspiegel führen kann. Dieser hormonelle Zustand verstärkt meist das Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln, insbesondere nach Zucker und Fett. Außerdem nimmt ein Trauma oft auch unser Belohnungssystem im Gehirn "in die Mangel": Essen, insbesondere ungesundes Essen, kann kurzfristig die Ausschüttung von Dopamin steigern, einem Neurotransmitter, der mit Wohlbefinden und Belohnung in Verbindung steht. Menschen, die unter Traumafolgen leiden, haben daher ein höheres Risiko zu solchen Lebensmitteln zu greifen, um sich vorübergehend besser zu fühlen.
Wege zur Heilung: Den Teufelskreis durchbrechen
Die Heilung von traumabedingten Essproblemen erfordert oft einen ganzheitlichen Ansatz. Geeignete Therapieformen können beispielsweise die kognitive Verhaltenstherapie oder eine spezielle Traumatherapie sein... aber auch wiederholte, persönliche Gespräche mit Vertrauenspersonen können sehr entlastend sein und dabei helfen, die tieferliegenden emotionalen Probleme anzugehen, die das Essverhalten beeinflussen. Gleichzeitig kann eine Ernährungsberatung oder achtsame Ernährung dabei unterstützen, ein gesünderes Verhältnis zum Essen zu entwickeln.
Wichtig ist, dass Betroffene Geduld mit sich selbst haben. Der Weg zur Heilung ist oft lang und mit Rückschlägen verbunden. Aber mit der richtigen Unterstützung und einem tiefen Verständnis für die eigene Situation ist es möglich, ein gesundes und ausgeglichenes Verhältnis zum Essen zurückzugewinnen.
Kann Ernährung die Heilung von Traumata unterstützen?
Ernährung kann keine Therapie ersetzen. Aber Ernährung kann eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Heilung von Traumata spielen. Bestimmte Lebensmittel und Nährstoffe können das Gehirn und den Körper stärken, den Heilungsprozess fördern und dabei helfen, die Auswirkungen von Stress und Trauma zu mildern. Besonders hilfreich können zum Beispiel sein:
1. Lebensmittel, die reich an Omega-3-Fettsäuren sind
Omega-3-Fettsäuren, die in fettem Fisch wie Lachs, Makrele und Sardinen sowie in Leinsamen, Chiasamen und Walnüssen enthalten sind, haben entzündungshemmende Eigenschaften und unterstützen die Gehirnfunktion. Sie können dazu beitragen, die Stimmung zu stabilisieren und die Symptome von Angst und Depression zu lindern, die häufig mit Traumata einhergehen.
2. Nahrungsmittel, die reich an Antioxidantien sind
Obst und Gemüse wie Beeren, Zitrusfrüchte, Brokkoli, Spinat und Karotten sind reich an Antioxidantien, die helfen, oxidative Schäden im Körper zu reduzieren. Oxidativer Stress kann die Symptome von Traumata verschlimmern, daher ist es wichtig, antioxidative Lebensmittel zu konsumieren, um die Zellen zu schützen und die Heilung zu fördern.
3. Magnesiumreiche Lebensmittel
Magnesium ist ein Mineral, das für die Entspannung des Nervensystems wichtig ist und Stress abbauen kann. Lebensmittel wie dunkles Blattgemüse (z.B. Spinat), Nüsse, Samen, Vollkornprodukte und Avocados sind gute Magnesiumquellen. Ein ausreichender Magnesiumspiegel kann helfen, Angst und Schlaflosigkeit zu reduzieren, die oft durch Traumata verstärkt werden.
4. Lebensmittel, die reich an B-Vitaminen sind
B-Vitamine, insbesondere B6, B12 und Folsäure, spielen eine Schlüsselrolle bei der Produktion von Neurotransmittern, die die Stimmung und das emotionale Wohlbefinden beeinflussen. Sie sind in Lebensmitteln wie Eiern, Vollkornprodukten, grünem Blattgemüse, Hülsenfrüchten und Fleisch enthalten. Eine ausreichende Versorgung mit B-Vitaminen kann helfen, das Nervensystem zu unterstützen und die Symptome von Stress und Depressionen zu lindern.
5. Probiotische Lebensmittel
Der Zustand des Darms hat einen erheblichen Einfluss auf die psychische Gesundheit, und eine gesunde Darmflora ist daher wichtig. Probiotische Lebensmittel wie Joghurt, Kefir, Sauerkraut, Kimchi und andere fermentierte Produkte können helfen, das Gleichgewicht der Darmbakterien zu fördern, was sich positiv auf die Stimmung und das allgemeine Wohlbefinden auswirken kann.
6. Proteinreiche Lebensmittel
Proteine sind wichtig für die Produktion von Neurotransmittern wie Serotonin und Dopamin, die das Wohlbefinden und die Stimmung regulieren. Mageres Fleisch, Fisch, Eier, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen sind ausgezeichnete Proteinquellen.
7. Komplexe Kohlenhydrate
Komplexe Kohlenhydrate wie Vollkornprodukte, Haferflocken, Quinoa, Süßkartoffeln und brauner Reis sorgen für eine gleichmäßige Freisetzung von Energie und helfen, den Blutzuckerspiegel stabil zu halten. Ein stabiler Blutzuckerspiegel ist wichtig, um Stimmungsschwankungen zu vermeiden und die mentale Klarheit zu fördern, was insbesondere für Menschen, die sich von einem Trauma erholen, hilfreich sein kann.
8. Lebensmittel, die reich an Tryptophan sind
Tryptophan ist eine Aminosäure, die der Körper zur Herstellung von Serotonin benötigt, einem Neurotransmitter, der die Stimmung hebt und das Gefühl von Wohlbefinden fördert. Lebensmittel wie Pute, Huhn, Fisch, Eier, Nüsse und Samen sind gute Quellen für Tryptophan und können helfen, die Serotoninproduktion zu unterstützen.
9. Wasser und Kräutertees
Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist generell entscheidend für das allgemeine Wohlbefinden. Meine Klientinnen und Klienten wissen, wie sehr ich auf ausreichendes Trinken poche. Dehydration kann zu Müdigkeit, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten führen, was die Heilung behindern kann. Kräutertees wie Kamille, Lavendel oder Melisse können zusätzlich beruhigend wirken und helfen, Stress abzubauen.
Eine ausgewogene Ernährung, die reich an Nährstoffen ist, kann also durchaus einen erheblichen Einfluss auf die Heilung von Traumata haben. Lebensmittel, die das Nervensystem unterstützen, die Gehirnfunktion fördern und die Entzündung im Körper reduzieren, können ebenfalls dazu beitragen, die Symptome eines Traumas zu lindern und den Heilungsprozess zu unterstützen. Während eine gesunde Ernährung kein Ersatz für professionelle Therapie und Behandlung ist, kann sie eine wertvolle Ergänzung auf dem Weg zur Genesung sein.
Was lässt sich also zusammenfassend festhalten?
Trauma kann das Essverhalten auf vielfältige und oft schädliche Weise beeinflussen. Vom emotionalen Essen über die Entwicklung von Essstörungen bis hin zur völligen Vermeidung von Nahrung – die Auswirkungen sind komplex und tiefgreifend. Doch durch therapeutische Unterstützung und Selbstfürsorge ist es möglich, diese Muster zu erkennen und zu überwinden.
Sie haben selbst ein Trauma erlitten? Die Auseinandersetzung mit dem entsprechendem Thema lässt sich nur selten vollends vermeiden. Um sich zu öffnen, ist immer der richtige Zeitpunkt, den aber nur Sie ganz allein bestimmen und festlegen! Hierbei gibt es auch kein "zu spät" oder "jetzt ist es ohnehin schon egal". Die eigene Angst oder (scheinbare) Hilflosigkeit überwinden, um Hilfe bitten und sich Menschen anvertrauen ist meist der erste Schritt zur vollständigen und vollumfänglichen Heilung.
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